Begriffserklärung

Vorab sei bemerkt, daß nicht alle Bahnen, die im Allgemeinen als Kleinbahnen bezeichnet werden, auch tatsächlich solche waren. Der Einfachheit halber sollen aber alle diese Bahnen hier betrachtet werden. Heute ist eine Unterscheidung kaum noch möglich.

Die Bezeichnung Kleinbahn hat auf jeden Fall nichts mit der Spurweite zu tun hat. Im Harz hört man manchmal noch, wenn eine Reise auf der Selketalbahn im Netz der HSB geplant ist, wir fahren mit der Kleinbahn. Im Prinzip stimmt das sogar, doch meint man damit, daß eben bei der Schmalspurbahn fast alles kleiner ist. Es gab im Harz mit der Nordhausen-Wernigeroder Eisenbahn (NWE bzw. auch Harzquer- und Brockenbahn genannt), der Gernrode-Harzgeroder Eisenbahn (GHE bzw. Selketalbahn genannt) und der Südharzeisenbahn (SHE) von Tanne über Sorge nach Braunlage drei tatsächlich als Kleinbahn gebaute und betriebene Schmalspurbahnen. Kleinbahnen wurden jedoch in allen möglichen Spurweiten erbaut. Die ersten dieser Bahnen entstanden Ende des 19. Jahrhunderts. In Deutschland war ein Netz von Eisenbahnstrecken entstanden, welches vorwiegend in der Hand der deutschen Staaten war. Die größten Bahnverwaltungen hatten Preußen, Bayern, Sachsen, Württemberg und Baden. Außerdem besaßen Oldenburg und Mecklenburg kleinere Staatsbahnen, die sich an den Königlich Preußischen Staatseisenbahnen orientierten.

Das ausgedehnte Netz von Hauptstrecken wurde durch Nebenbahnen ergänzt. Einige wenige Privatbahnen, zum Beispiel in meiner Wahlheimat die Halberstadt-Blankenburger Eisenbahn (H.B.E.), existierten neben den staatlichen Bahnen. Dieses Netz wies aber Lücken auf. Überall dort, wo ein bescheidenes Verkehrsaufkommen die auch vor 100 Jahren immensen Kosten für den Bau einer Eisenbahnstrecke nicht gerechtfertigt hätte, fand sich kein Geldgeber für den Bahnbau. Die Lösung dieses Problems fand man in den verschiedenen deutschen Ländern auf unterschiedliche Weise. Die sächsische Staatsbahn baute seit Anfang der 1880er Jahre 750-mm-Schmalspurbahnen, um abgelegene oder gebirgige Regionen zu erschließen. In Süddeutschland (vor allem Bayern) entstanden sogenannte Sekundär-, Lokal- und Vizinalbahnen. In Preußen wurde am 21. Juli 1892 ein Gesetz über den Bau und Betrieb von Kleinbahnen beschlossen. Damit war die Voraussetzung geschaffen, die Lücken

im preußischen Eisenbahnnetz mit untergeordneten Eisenbahnen zu schließen. Dieses Gesetz galt nur in Preußen und der Begriff "Kleinbahn" wurde nur in Preußen verwendet. Gelegentlich wird er auch für Bahnen verwendet, die nicht nach preußischem Gesetz erbaut und betrieben wurde. In Sachsen spricht man bei der Erwähnung der Schmalspurbahnen zum Beispiel hin und wieder auch von Kleinbahnen. Auch nach Inkrafttreten des Kleinbahngesetzes wurden in Preußen längst nicht alle nicht von der Staatsbahn erbauten Bahnen auf Basis dieses Gesetzes erbaut und betrieben. Kernpunkt dieses Gesetzes waren die vereinfachten Bau- und Betriebsvorschriften. Der Oberbau wurde erheblich leichter ausgeführt. Man verwendete leichtere weniger belastbare Schienen, statt Eichenschwellen solche aus Kieferholz und statt Schotter Grobkies. Das Gleisbett wurde weniger tief gegründet. Die Ausstattung mit Signalen wurde auf das Nötigste reduziert. Meist gab es nur Signaltafeln. Die eisenbahntypischen Gebäude waren einfach und funktionell, oft aber trotzdem repräsentativ angelegt. So konnten erhebliche Baukosten gespart werden. Ein gewisser Nachteil waren die geringe zulässige Höchstgeschwindigkeit und die geringere Achslast. Selten lag die Höchstgeschwindigkeit über 30 km/h. Die Achslastbegrenzung hatte zur Folge, daß nur leichte und damit weniger leistungsfähige Lokomotiven eingesetzt werden konnten. Die Kleinbahnen erfüllten trotz dieser Einschränkungen aber alle Anforderungen. Eine Bedingung für die Konzessionierung einer Kleinbahn war, daß sie sich auf den lokalen Verkehr beschränkte. Transitverkehr war nicht zulässig und Personen und Güter mußten auf kürzestem Wege an die Staatsbahn übergeben werden. Der Betrieb wurde mit weniger und fast immer schlechter bezahltem Personal geführt. Das hielt die Betriebskosten niedrig. Die Kleinbahnen waren ein großer Fortschritt für ihre Einzugsgebiete. Die verbesserten Transportmöglichkeiten belebten die Wirtschaft und auch den Tourismus. Neben Bahnen, die erhebliche Rendite abwarfen, gab es auch Strecken, die mit Defizit betrieben wurden. Viel interessanter als die Geschichte wirtschaftlich starker Kleinbahnen erscheint mir aus heutiger Sicht die Geschichte der Bahnen, die nicht aus den Miesen kamen. Als Beispiel dafür kann die Kleinbahn Rennsteig - Frauenwald in Thüringen dienen. Mit knapp über 5 km Länge war sie eine der kürzesten Kleinbahnen. Die Quellen berichten von ständigen Finanzproblemen. Obwohl die Bahn nur zwei Angestellte und die nötigsten Fahrzeuge hatte, schrieb man rote Zahlen. Die Betriebsleitung übernahm der Betriebsleiter der Kleinbahn Erfurt - Nottleben. Ein Hilfslokführer bediente Lok und Triebwagen. Außerdem hatte er kleinere Reparaturen an den Fahrzeugen auszuführen. Man fragt sich heute, wann der Mann wohl Feierabend hatte. Einen Heizer gab es nicht, denn Lok und Triebwagen wurden im Einmannbetrieb gefahren. Ein Hilfsschaffner war mit den Aufgaben des Zugbegleiters beschäftigt. Im Notfall mußte er die Lok anhalten können. Gelegentlich wurde er durch den Bahnhofswirt in Frauenwald vertreten, der als sogenannter Agent der Bahn neben dem Betrieb der Bahnhofswirtschaft Fahrkarten verkaufte und die Güterabfertigung übernahm. Die Kleinbahn hatte zunächst nur eine Lok. War sie defekt oder zur Aufarbeitung, mußte man sich eine Lok leihen. Ein Personenwagen mit Pack- und Postabteil und ein altbrauchbarer gedeckter Güterwagen für Stückguttransporte war jahrelang der gesamte Wagenpark. Erst Mitte der 30er Jahre erwarb die Bahn einen Triebwagen später noch einen Beiwagen. Trotz aller wirtschaftlichen Probleme dachte man nie ernsthaft an eine Stillegung, denn die Kleinbahn war die Lebensader zur großen weiten Welt.

Als das Kraftfahrzeug seinen Siegeszug antrat, begann der Stern der Kleinbahnen zu verblassen. Kriegs- und Nachkriegszeit brachten einen letzten Aufschwung. Nach 1945 entwickelten sich die Kleinbahnen im Westen und im Osten Deutschland sehr unterschiedlich. Da mir das Leben den Stuhl in den Osten gestellt hat, möchte ich mich auf bekanntem Terrain bewegen und im Weiteren nur die Entwicklung in der DDR verfolgen. Als die Kriegsfolgen überwunden waren, begann das Kleinbahnsterben. Nachdem vereinzelt schon in den 40er und 50er Jahren Strecken stillgelegt wurden, begann ab Mitte der 60er Jahre eine große Stillegungswelle. Die Kleinbahnen hatten längst ihre Eigenständigkeit verloren und waren ab 1. April 1949 in die Hand der Deutschen Reichsbahn übergegangen. Nach Kriegsende wurden alle Kleinbahnen enteignet und unter die Verwaltung der Länder gestellt. Einige Strecken wurden stillgelegt. Andere betrieb man nur noch verkürzt. Die Kleinbahn Ellrich - Zorge wurde z.B. von der Demarkationslinie durchschnitten. Der Verkehr wurde 1946 endgültig eingestellt und die Strecke abgebaut. Die Kleinbahn Heudeber - Mattierzoll und die Osterwieck-Wasserlebener Eisenbahn verlor durch die Demarkationslinie die letzten Kilometer bis zu ihren Endpunkten. Andere Kleinbahnen fielen unter die Reparationsleistungen an die UdSSR. So baute man bis 1946 die Kleinbahn Gernrode - Alexisbad - Stiege - Eisfelder Talmühle mit ihren Stichstrecken Alexisbad - Harzgerode und Stiege - Hasselfelde teilweise ab. Nur ein Reststück vom Flußspatschacht bei Straßberg (Ladestelle Fluor) bis Straßberg und der Abschnitt Eisfelder Talmühle - Hasselfelde (kam zur Harzquerbahn Nordhausen - Wernigerode) blieben erhalten. Allerdings merkte die Besatzungsmacht bald, daß es ohne Eisenbahn im Selketal nicht ging. So baute man die Strecke von Gernrode bis Straßberg bzw. Harzgerode wieder auf. 1950 wurde der Verkehr wieder aufgenommen. Das alte Gleis- und Fahrzeugmaterial war bis auf Reste (z. B. die Lok „Gernrode“ und den Triebwagen T 1) längst in Rußland. So suchte man das Gleisbaumaterial überall zusammen und bekam Fahrzeuge von der Nordhausen-Wernigeroder Eisenbahn (NWE). Ein besonders Schicksal erlebte die Zschornewitzer Kleinbahn bei Dessau. Da sie von jeher vor allem dem Transport von Braunkohle diente, wurde sie zur Werkbahn. Anfang der 60er Jahre wurden Wirtschaftlichkeitsberechnungen angestellt. Die ergaben, daß der Betrieb der ehemaligen Kleinbahnen unwirtschaftlich sei und empfahlen deren Stillegung und die Übergabe der Transportaufgaben an den Kraftverkehr. Fehlende LKW und Busse und das mangelhaft ausgebaute Straßennetz ermöglichten den Kleinbahnen eine letzte Gnadenfrist. Aber die war nur von kurzer Dauer. Für die Gernrode-Harzgeroder Eisenbahn, die ebenfalls stillgelegt werden sollte, kam Anfang der 70er Jahre die Rettung. Im Rahmen der Erhaltung von Schmalspurbahnen als, wie es damals offiziell hieß, Touristenattraktionen wurde der Beschluß zur Stillegung rückgängig gemacht. Die amtliche Begründung „für den Tourismus“, war wie man heute weiß, nur ein Ablenkungsmanöver der DDR-Führung. In Wahrheit konnte auf die damals unter Schutz gestellten Strecken wirtschaftlich nicht verzichtet werden die Schmalspurbahnen eine erhebliche Bedeutung für den Güterverkehr aber auch für den Urlauberverkehr hatten. Mit Bussen und Lkw war das nach DDR-Verständnis – und nach DDR-Möglichkeiten – nicht lösbar gewesen, Warum auch hätte man sonst erst 1983/84 den Lückenschluß im Selketal vollzogen.

Von den ehemaligen Kleinbahnen waren Mitte der 70er Jahre nur noch wenige in Betrieb. Zum Beispiel wurde die ehemalige Osterwieck-Wasserlebener Eisenbahn noch bis Osterwieck West betrieben. Die Züge begannen allerdings in Heudeber-Dannstedt. Einige Kleinbahnstrecken existierten als Anschlußgleis weiter. So wurde der Rest der Aschersleben-Schöningen-Nienhagener Eisenbahn zwischen Nienhagen und Gröningen noch benutzt, um die Zuckerfabrik und ein Lagerhaus zu bedienen. Nach der Wende kam das endgültige Aus für einen Teil der noch existierenden ehemaligen Kleinbahnstrecken. Das geringe Verkehrsaufkommen führte als erstes zur Einstellung des Güterverkehrs. Inzwischen gab es auch die ersten Gesamtstillegungen. So ist heute von der einstigen Kleinbahnromantik kaum noch etwas zu sehen.

Die Länge der Kleinbahnstrecken war recht unterschiedlich. Die kürzeste Strecke war knapp 5 km lang. Es gab jedoch auch Strecken bzw. Streckennetze, die weit über 100 km Länge hatten. Zu den größeren Kleinbahnverwaltungen gehörten die Genthiner Kleinbahn oder die Brandenburgische Städtebahn. In der Altmark entstand im Laufe einiger Jahre bis Anfang des 20. Jahrhunderts ein umfangreiches Netz bestehend aus mehreren teils unabhängigen Bahnverwaltungen. Kleinbahnen waren oft als Stichstrecken angelegt. Von einem Bahnhof an der Staatsbahn ausgehend wurden die Strecken zu einem Endbahnhof verlegt, der keinen weiteren Eisenbahnanschluß hatte.